Saisoneröffnung
Die ersten warmen Sonnenstrahlen
fielen in den Garten. Ich stand mit einem Espresso am Fenster und sah hinaus. Ich kann den Winter nicht
leiden und genieße es, wenn grüne Blättchen aus Zweigen brechen und dem Kältequatsch
ein Ende machen. Triumph der guten Laune. Nick saß am Esstisch und montierte Kanonen
an einen Legomann, den er mir zuvor als «Supor, der Terrortyp» vorgestellt
hatte. Sein Legolem besaß neben beeindruckender Feuerkraft rollende Füße sowie
einen Hut voller Handgranaten. Ein Meisterstück moderner Wehrtechnik,
geschaffen an kalten Nachmittagen. Doch nun war es endlich warm. Ich sagte
Nick, dass er mal wieder schön nach draußen könne, vielleicht sogar barfuß.
Ein fabelhafter Tag war das, und
er wurde immer fabelhafter, weil immer heißer. Wir saßen dann den ganzen Tag
draußen, und ich schwärmte vom Sommer und dass dieser just an diesem Tage
begonnen habe und bitte schön erst im November enden möge. So hätte ich das
gerne.
Nachdem ich die Grillsaison eingeläutet
und die Sonne sich verabschiedet hatte, war ich ein bisschen traurig. Da stand
Nick plötzlich freudestrahlend vor mir. Er erläuterte mir, dass er soeben vom
Dachboden komme. «Aha», sagte ich. «Und was hast du da gemacht?» Er habe dort
nach dem Zelt gesucht. Wir besitzen ein Zwei-Mann-Zelt. Ich weiß nicht, warum.
Und wo es ist, weiß ich auch nicht. Aber Nick wusste es. Er hatte es bereits in
den Garten geschleppt und fast zur Hälfte aufgebaut.
Der Anblick erinnerte mich an
meinen vor vielen Jahren gescheiterten Versuch, dieses Zelt auf einen
bretonischen Felsen zu nageln. Dabei hatte ich sämtliche Heringe ruiniert und
anschließend mit meiner Frau im Hotel geschlafen. Das ist sowieso viel besser. Ich
fragte Nick, wofür er dieses Mahnmal des unbekannten Campers aufgebaut habe,
und er antwortete mit leuchtenden Augen, dass wir drei – er und ich und Supor,
die Terrortype – heute Nacht im Zelt schlafen würden. Es fielen mir gleich drei
gute Argumente ein, warum das nicht ging. Erstens besitzen wir keine Luftmatratzen.
Zweitens habe ich grundsätzlich keine Lust zu zelten, und drittens macht man so
was im SOMMER, aber doch nicht im April. Nick hielt dagegen, dass schließlich
ich es gewesen sei, der den ganzen Tag behauptet habe, dass der Sommer endlich
da sei, und jetzt, auf einmal, sei kein Sommer mehr? Er fühle sich von mir
verarscht, sagte er. Wörtlich. Und dann holte der die große Psychokeule raus.
Die trifft immer. Er wolle einmal etwas mit seinem Vater unternehmen, ein
Vater-Sohn-Projekt. Nur er und ich. Einmal! Bitte! Da bekam ich eine
Zukunftsvision: Nick sitzt als erwachsener Mann mit zwölf Geiseln in einer Bank
und telefoniert mit einem Psychologen. Dieser fragt meinen Sohn, warum er zum
Verbrecher geworden sei, und mein Sohn antwortet kalt : «Weil mein Vater nie
mit mir zelten wollte. Und nun räche ich mich dafür an der Gesellschaft.»
Wir packten Proviant ein und Taschenlampen. Ich
legte Kissen aus dem Wohnzimmer in das armselige Zelt, dann schlüpften wir in
unsere Schlafsäcke. Ich erzählte Nick eine Geschichte, wir leuchteten mit den
Taschenlampen herum und machten Faxen, bis Nick einschlief. Ich hingegen bekam
stundenlang kein Auge zu. Brettharter eiskalter Aprilboden. Geräusche. Aufs
Zelt pinkelnde Marder. Ich erwachte gegen Viertel nach sechs und hatte
Rückenschmerzen wie Jesus am Karfreitag. Neben mir lag Supor, die Terrortype.
Nicks Schafsack hingegen war leer, kein Sohn drin. Ich pellte mich aus dem
klammen Zelt und ging ins Haus. Herr Sohn lag gemütlich neben Sara in meinem
Bett. Nachdem er ausgeschlafen hatte, teilte er mir mit, es sei ja doch recht
frisch gewesen. Man solle froh sein, wenn man ein schönes Bett habe und nicht
auf dem Boden schlafen müsse. Er bewundere mich aber sehr dafür, dass ich
durchgehalten habe. Na immerhin. Hoffentlich erinnert er sich an diese
Heldentat, wenn er eine Karriere als Verbrecher ins Auge fasst.
Mehr von Jan Weiler gibt es hier. Viel Spaß!
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